Der Weg zur Selbstoptimierung oder von den Tücken des Objekt(iv)s

Jürgen Pagel

Der Weg zur Selbstoptimierung oder von den Tücken des Objekt(iv)s

Philosophische Gedanken eines Fotografen

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Selbstoptimierung bedeutet, dass man kontinuierlich an seinen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten arbeitet, um die bestmögliche persönliche Verfassung zu erreichen. Dies geschieht durch Selbstreflexion, Selbstkontrolle und Feedback.

Mit kommt es mittlerweile so vor, als ob die Welt voll ist mit sogenannten Coaches, die mir ständig erzählen wollen, wie ich mich selbst optimieren kann, soll und muss. Dabei ist das „Arbeiten“ an sich selbst ein selbstverständlicher und ständiger Prozess, der sich aus Erfahrung plus Wissen ergibt. Man sammelt Erfahrung durch das Handeln und reichert die Erfolge und Misserfolge mit dem Wissen der Gegenwart und der Vergangenheit an. Heraus kommt „Können“. Das gilt für nahezu alle Lebensbereiche.

Ein besonderer Bereich allerdings ist in diesem Prozess die Fotografie. Selbstzweifel wie „bin ich gut genug“ oder „finde andere meine Bilder auch gut“ sind nicht gerade ein Garant für eine erfolgreiche Selbstoptimierung. Die ständige Suche nach dem Optimum, dem vermeintlich richtigen Moment und der technischen Perfektion, behindert mehr als sie nutzt. Das gilt vor allem für Kameraeinstellungen, Objektivwahl und technische Details, die zwar Bestandteil der Fotografie sind, aber eben technisch orientiert sind und dazu führen, dass man den richtigen Moment oftmals verpasst.

Was wäre, wenn wir uns vielmehr auf das Einfangen des Moments konzentrieren würden als uns um die Technik zu kümmern? Was wäre, wenn wir, statt durch unseren Sucher zu blicken vielmehr mit dem Herzen „sehen“ würden und die Welt um uns herum so einfangen, wie sie tatsächlich ist? Fernab der Art und Weise der Selbstoptimierung, wie sie uns in den sozialen Medien täglich vorgegaukelt wird?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich die Ergebnisse sehen lassen könnten. Der Weg dahin ist gar nicht so schwer, wie das im ersten Moment klingt.

Emotion ungleich Perfektion
Die Kameraindustrie verkauft ihre Produkte mit Emotionen. Mehr als 95% aller Kaufentscheidungen werden emotional getroffen. Aber wenn es um die Verwendung der Produkte geht, die wir aus der Emotion heraus erworben haben, ist diese plötzlich verschwunden. Nicht sofort, aber nach ein paar Wochen ist das Neue schon wieder zur Gewohnheit geworden, die erste Begeisterung hat sich gelegt und wir beginnen mit rationalen Überlegungen an unsere Motive heranzugehen.
Dabei geht es doch vielmehr darum, mit unseren Bilder Emotionen zu wecken. Nicht jedes Bild muss eine Geschichte erzählen (ein Mythos, der sich hartnäckig hält), aber wenn wir wollen, dass ein Betrachter in den Bann gezogen wird, länger „in“ unserem Bild verweilt, dann geht das nicht ohne diese Emotion. Und die ist wichtiger als die Schärfe bei 300% Vergrößerung.
Emotionale Tiefe kann dabei wichtiger sein als das Streben nach absoluter Perfektion.

Akzeptiere Dich selbst
Manche nennen das Selbstverliebtheit, andere Narzissmus. Dabei ist der Narzissmus eine krankhafte, psychische Störung bei Menschen, die versessen auf Anerkennung sind - bei gleichzeitigem Mangel an Empathie. So weit muss es nicht kommen. Das ist auch nicht das Ziel der Selbstakzeptanz. Sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist, unterscheidet uns von denjenigen, die ständig so sein wollen wie andere. Daran haben die sozialen Medien einen erheblichen Anteil. Ständige Vergleiche mit anderen und deren (meist nicht) vorhandenen Fähigkeiten, blockieren uns auf dem Weg zum eigenen Ich.
Sich selbst zu akzeptieren bedeutet nicht, auf der Stelle zu treten, sondern im Gegenteil einen großen Schritt in Richtung Selbstverwirklichung und damit zu eigener Akzeptanz.

Der Moment
Kaum etwas anderes bietet uns die Möglichkeit, einen Moment einzufangen und ihn zu erhalten, wie die Fotografie. Genau das soll in einem Bild zum Ausdruck kommen. Die Suche nach diesem Moment ist ein Prozess, dessen Ziel die Emotion ist, die wir im Moment der Aufnahme empfunden haben.
Konfuzius hat nicht gesagt: Der Weg ist das Ziel. Vielmehr waren seine Worte: „Wer das Ziel erreicht hat, wird den Weg dorthin vermissen“.

Die Natur
Der Aufenthalt in der Natur ist nicht Bestandteil der Selbstoptimierung, sondern vielmehr das Bewundern von Vorgängen und Abläufen, denen die Natur wie alles in dieser Welt unterliegt. Das wird im Wechsel der Jahreszeiten, dem Frühlingserwachen, dem Stand der Sonne, dem Wildwechsel und der Vergänglichkeit umso deutlicher, als dass wir die Emotionen, die mit dem Wandel einhergehen, zulassen. 
Das mit Hilfe der Fotografie einzufangen, ist wahrlich schön.

Die Reise
Fotografien sind Erinnerungen an eine Reise durch das eigene und das Leben anderer. Sie bewahren diese Erinnerungen wie in einer Zeitkapsel und wecken beim Betrachten zu einem späteren Zeitpunkt Emotionen wie Liebe und Freude, aber auch Wut und Unwohlsein.
Gelingt es, diese Emotionen einer Reise durch das Leben einzufangen, ist das viel mehr wert als technische Perfektion.

K.I.S.S.
KISS meint: Keep it super simple. Der Gewinn liegt im Verzicht, in der Einfachheit. Je mehr Funktionen eine Kamera und ein Objektiv haben, umso komplexer – bisweilen sogar komplizierter – wird die Handhabung. Und schon wieder geben wir uns der Technik hin. Es bleibt keine Zeit für den Blick zur Seite, nach vorne und zurück. Konzentriert darauf, die richtigen Einstellungen zu tätigen, verlieren wir die wahre Schönheit des Lebens und dessen, was das Leben ausmacht, vollkommen aus den Augen.
Wir verlieren uns im wahrsten Sinne in der Detailverliebtheit und der Technik, ohne das Große und Ganze zu erfassen und je gesehen zu haben.

Fazit
Das Entscheidende ist nicht, immer das „perfekte“ Foto zu machen.
Wenn wir die Fotografie als das wahrnehmen, was sie ist, nämlich das Festhalten von Momenten, von Augenblicken eines Lebens – des unseren aber auch das von anderen Menschen um uns herum, dann ist die Fotografie bei weitem nicht tot, sondern lebt weiter bis in ewige Zeiten. Dazu gehören auch die Urlaubsbilder vom letzten Spanienaufenthalt. Das muss man nicht mögen, aber sie Teil eines Ganzen. Richtig in Szene gesetzt, mit Freude und Emotion fotografiert, können sie einen spannenden, ereignisreichen Einblick in die Selbstakzeptanz des Fotografen zeigen.
Es ist meines Erachtens wünschenswert, wieder den Blick für das zu schärfen, was unmittelbar um uns herum geschieht – weniger in die weite Welt zu schauen, die für viele von uns unerreichbar bleiben wird. Schnell verliert man sich in der unerreichten Ferne und fühlt sich unperfekt, weil die Ziele viel zu hochgesteckt sind – ausgesprochen hinderlich auf dem Weg zur Selbstoptimierung. Dankbarkeit und Zufriedenheit sind dagegen gute Ratgeber. 
Fotografie ist ein kreativer Prozess, der nicht von heute auf morgen entsteht. Das mag bei dem einen schneller gehen und bei der anderen etwas länger dauern. Wenn am Ende Emotionen das Licht der Welt erblicken, wird alles gut. Und das geht weit über technische Perfektion hinaus – ein gewaltiger Schritt in Richtung SELBSTOPTIMIERUNG.

©2024 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design


Neunzehn58

von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
von Jürgen Pagel 06 Apr., 2024
Der Algorithmus von Facebook, Instagram, WhatsApp & Co. macht nicht nur einem Content Creator das Leben schwer. Jeder und jede, die mit dem Ziel, Zugriffe auf dem eigenen Account zu generieren, muss sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Auf YouTube beklagen sich zunehmend Kanalinhaber, die bisher hohe und stets zunehmende Zugriffe zu verbuchen hatten, über rückläufige Zuschauerzahlen. Instagram „lebt“ zwischenzeitlich nur noch von Reels und auch bei diesen ist es unumgänglich, sich mit den Gemeinheiten des Algorithmus auseinanderzusetzen. Es reicht nicht, ein Reel zu posten und darauf zu vertrauen, dass es von möglichst vielen Usern angesehen wird.
von Jürgen Pagel 04 Apr., 2024
Leider - und das ist eine offene Kritik an die Adresse vieler (natürlich nicht aller) Fotohändler - wird eine Kamera allzu oft mit einem sogenannten Kit-Objektiv verkauft. Dabei handelt es sich ausnahmslos um preiswerte Objektive im Zoombereich, mit denen der Käufer sofort mit dem Fotografieren beginnen kann. An sich eine gute Idee. Allerdings stellen diese Kit-Objektive den Kunden nur in Ausnahmefällen zufrieden. Sie sind nicht besonders lichtstark, d.h. die Offenblende beginnt bei f/3.5 und endet bei f/6.3 oder f/6.5. Das mag für den Anfang ausreichend erscheinen, ist es aber nicht.
von Jürgen Pagel 01 Apr., 2024
Wenn es irgendetwas gibt, dass mit vielen Fallstricken versehen, zum Stolpern eines nahezu jeden Anwenders führen kann, dann sind es das Urheberrecht (UrhG) und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Fotografen bewegen sich erfahrungsgemäß regelmäßig in beiden Bereichen. Der Street-Fotograf muss darauf achten, nicht gegenständliche Kunst und Gebäude im Hintergrund zu haben, die eine Urheberrechtsverletzung wie auch einen Verstoß gegen die DSGVO darstellen. Der Produktfotograf muss sicher sein, dass er die Logos und Etiketten von Requisiten entweder sorgfältig verbirgt oder die Rechte der Darstellung daran besitzt. Der Portraitfotograf benötigt einen Vertrag, in dem die Rechte des Models, aber auch seine eigenen Rechte definiert und geregelt sind. Das gilt für Hobby- wie für Berufsfotografen gleichermaßen.
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