Neue Kamera: Ja oder Nein?

Jürgen Pagel

Neue Kamera: Ja oder Nein?

Aufmerksame und regelmäßige Leser meines Blogs werden dieses Thema in der ein oder anderen Form sicher schon einmal gelesen haben.
Dennoch greife ich aus aktuellen Gründen die Thematik noch einmal auf, um sowohl dem Anfänger wie auch dem fortgeschrittenen Fotografen unter Ihnen Hilfestellung bei der Kaufentscheidung zu geben.

Was man häufig liest und hört

1. Neue Kameras machen keine besseren Bilder.

Anmerkung: Das ist nur bedingt richtig. Es kommt auf die technischen Veränderungen seitens der Technik der Kamera und der Objektive an. Ein neu entwickelter Sensor beispielsweise könnte rauschärmer sein, was den Einsatz schnellerer Verschlusszeiten erlaubt, die wiederum die Verwackelungsgefahr reduzieren. Ergebnis: Die Bilder werden besser. In ein neues Modell wird ein IBIS verbaut, der längere Belichtungszeiten aus der Hand ermöglicht. Ergebnis: Die Bilder werden besser. In einen Objektivnachfolger wird ein OBIS integriert. Auch dabei sind längere Verschlusszeiten aus der Hand möglich, was eine geringere ISO zur Folge hat oder sich die Low-Light-Performance signifikant verbessert. Ergebnis: Die Bilder werden besser.

2. Eine Auflösung von 16 Megapixel ist vollkommen ausreichend.

Anmerkung: Ja und Nein. 16 Megapixel (MP), ja sogar 8 MP reichen zu einem Druck bis zu DIN A4 – abhängig vom Betrachtungsabstand. Ich würde damit nicht unbedingt eine Ausstellung machen wollen, aber für den heimischen Gebrauch oder die Verwendung im Internet ist das vollkommen ausreichend. Der Nachteil liegt an anderer Stelle. Beschneide ich aus welchem Grund auch immer (z.B. Korrektur der Bildkomposition, entfernen störender Elemente) das Bild, verliere ich Bildinformationen und die Auflösung verringert sich. Beschneide ich ein 16 MP-Foto, wird daraus schnell eine Auflösung von 8 MP oder weniger. Da wird die Luft dann hinsichtlich des Drucks oder der Betrachtungsqualität schon deutlich dünner.

3. Das Bild macht der Fotograf, nicht die Kamera.

Anmerkung: Auch das ist nur bedingt richtig. Richtig ist, dass der Fotograf für die Motivwahl, die Bildkomposition und die wesentlichen Einstellungen der Kamera verantwortlich ist – vergleichbar mit dem Gebrauch eines Hammers. Um einen Nagel in die Wand zu schlagen, bedarf es eines Hammers. Trifft der Hammer nicht den Kopf des Nagels, sondern den Daumen des Heimwerkers, ist dafür nicht der Hammer verantwortlich. Aber es bedarf unter Umständen des „richtigen“ Hammers. Beim Fotografen bedarf es für den jeweiligen Einsatzzweck auch der „richtigen“ Kamera. Eine analoge Minolta X-500 ist eine gute SLR (Spiegelreflexkamera), mit der man großartige Bilder machen kann. Allerdings beschränkt die Verschlusszeit von max. 1/1000 Sekunde den Einsatzzweck, denn in der Sportfotografie oder bei sich sehr schnell bewegenden Objekten kann eine 1/1000 Sekunde immer noch zu langsam sein. Auch hat sie Einschränkungen hinsichtlich der Blitzsynchronzeit, die einen dynamischen Einsatz mit kurzen Verschlusszeiten nahezu unmöglich macht. Hier kommt es also auf den Einsatzzweck an. Da nutzt selbst der beste Fotograf nichts, wenn das Handwerkszeug technisch nicht den Anforderungen entspricht.
  
4. Auch mit alter Technik kann man großartige Fotos machen. Es muss nicht immer das Neueste sein.

Anmerkung: Ja, das stimmt grundsätzlich. Gebrauchte Kameras und Objektive sind eine gute Wahl. Es gibt genug Verrückte, die sich eine neue Kamera oder ein neues Objektiv kaufen, um nach kurzer Zeit festzustellen, dass der Gegenstand die an ihn gesetzten Anforderungen nicht erfüllt. Dann kann dieser Gegenstand mit einem Abschlag den Besitzer wechseln, der damit u.U. besser zurecht kommt. Allerdings erscheint auch nahezu jedes Jahr etwas Neues auf den Markt. Sony ist mit der A9III und dem Global Shutter so eine Neuerung gelungen. Für Sportfotografen fantastisch, für den Portrait-Fotografen unrelevant – siehe Punkt 3. Dem Trend zu folgen, muss kein Fehler sein. Würden alle stets am Bestehenden festhalten wollen, gäbe es keinen Fortschritt. Grundsätzlich jedoch müssen es nicht die Fujifilm X-T5, die Nikon Z8 oder die Fujifilm X100VI sein. Die jeweiligen Vorgängermodelle erfüllen zweifelsfrei vollkommen ihren Zweck.

Der Markt
Es gibt Fotografen, die sich ein neues Modell nicht leisten wollen oder können. Bei weitem nicht jeder verfügt über einen Geldbeutel, der ohne weiteres 2.500 Euro oder deutlich mehr ausspuckt. Wer sich in das Mittelformat wagt, dem muss klar sein, dass nicht nur die Kameras exorbitant teuer sind (ab 7.000 Euro aufwärts), sondern auch die Objektive mit Stückpreisen jenseits der 3.000 Euro kein Schnäppchen darstellen. 

Es gibt jedoch durchaus Profis, die mit alten Kameras arbeiten, damit ihren eigenen Stil unterstreichen und großartige Bilder machen. Übrigens wechseln Profis deutlich seltener ihr Handwerkszeug als die meisten Hobbyfotografen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Sie beherrschen ihr Equipment im Schlaf. Ein neues System oder eine neue Kamera bringt in der Regel auch Änderungen im gewohnten Workflow mit sich. Gleiches gilt auch für die Bildbearbeitungssoftware. Auch wenn Funktionen ähnlich sind, so sind sie nicht gleich. Wer jahrelang mit Adobe Lightroom und Photoshop gearbeitet hat, wird sich mit Capture One oder ACDSee schwertun.

Wer beispielsweise als Journalist sein Geld mit der Fotografie verdient, holt aus seiner Technik das Beste heraus. Hobbyfotografen sind häufig mit ihrer neuen, modernen Technik überfordert und nutzen nur einen Bruchteil der Möglichkeiten, die ihnen ihr Kamerasystem zur Verfügung stellt.

Quantensprünge
Die Neuerscheinungen der letzten beiden Jahre (2023/ 2024) zeigen, dass keine Quantensprünge, erst recht keine fotografische Revolution zu erwarten sind. Die Kameraentwicklung scheint am Zenit angekommen zu sein. Viele vermeintliche Neuerungen scheinen nur noch kosmetischer Natur zu sein. Da bekommt eine Fujifilm X100VI einen bekannten 40 MP-Sensor und ein IBIS-System. Das macht sie zu einem Allrounder v.a. für die Videografie. Das Objektiv ist gleichgeblieben (es war ja auch schon sehr gut). Ob demnächst ein Hochzeits- oder Sportfotograf mit einer Festbrennweite von 23mm antreten wird, bleibt abzuwarten. Auch die X-T5 ist keine Revolution. Der Sensor ist hervorragend, 40 Megapixel sind gut (das Rauschverhalten leidet darunter offensichtlich nicht) und ein paar Spezifikationen im Bereich der Videografie sind ebenfalls erwähnenswert. Das Autofokus-System mit der Objekterkennung ist für Fujifilm ein echter Fortschritt. Aber das ist keine Revolution, weil ähnlich wurde das alles bereits in der Fujifilm X-H2/ X-H2S verbaut – wenn auch mit einem für Fujifilm ungewohnten Bedienkonzept.

Einsatzzweck
Entscheidend für den Kauf einer neuen Kamera ist ausschließlich der zugedachte Verwendungszweck.
Wer eine Fujifilm X100V, eine Ricoh GRIII oder ähnliche Modelle besitzt und nahezu ausschließlich das Genre der Streetfotografie bedient, hat keinen Anlass zu einem Neukauf.
Wer im Besitz einer Nikon Z6II ist, die Landschafts- und Portraitfotografie bedient, muss sich nicht veranlasst sehen, sich eine Nikon Z8 oder gar eine Nikon Z9 zu kaufen. Mit einer Nikon Z6II lassen sich ggf. Ausstellungshallen füllen. Sie steht den neueren Modellen kaum nach. Einzig die Objekterkennung des Autofokus-Systems wären ein Kaufgrund. Aber ob einem diese Funktion einen Aufpreis von 2.000 Euro und mehr wert ist, muss jeder selbst entscheiden. Die Sony A7III ist immer noch eine ausgezeichnete Vollformatkamera, die Neu ca. 2.500 Euro kostet und gebraucht bereits ab 1.500 Euro zu bekommen ist – mit mindestens einem Jahr Händlergarantie.
Sinnvoller wäre es ohne Zweifel, lieber Geld in die Objektivauswahl zu investieren, denn Objektive sind wichtiger als die Kamera. Die Kamera ist nach vier Jahren veraltet. Das Objektiv haben Sie ein Leben lang.
Sind Sie Profi und in einem bestimmten Genre unterwegs? Dann kann das Leasing für beispielsweise zwei Jahre eine gute Lösung sein. Sie sind Hobbyfotograf und suchen für einen bestimmten temporären Einsatz eine modernere Kamera? Dann ist das Mietmodell, bei dem Sie für einige Tage oder Wochen ein Modell Ihrer Wahl gegen eine Gebühr inkl. Versicherung leihen können, eine gute Alternative zum Neukauf.

Fazit
Prüfe wer sich ewig bindet, ob er nicht was Besseres findet. Bevor Sie in neue Modelle 2.000 Euro und mehr investieren, prüfen Sie, ob nicht das „Alte“ seinen Zweck erfüllt. Hüten Sie sich vor dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome), denn das wird richtig teuer, ohne Sie Ihrem eigentlichen Ziel näher zu bringen.

©2024 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
von Jürgen Pagel 06 Apr., 2024
Der Algorithmus von Facebook, Instagram, WhatsApp & Co. macht nicht nur einem Content Creator das Leben schwer. Jeder und jede, die mit dem Ziel, Zugriffe auf dem eigenen Account zu generieren, muss sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Auf YouTube beklagen sich zunehmend Kanalinhaber, die bisher hohe und stets zunehmende Zugriffe zu verbuchen hatten, über rückläufige Zuschauerzahlen. Instagram „lebt“ zwischenzeitlich nur noch von Reels und auch bei diesen ist es unumgänglich, sich mit den Gemeinheiten des Algorithmus auseinanderzusetzen. Es reicht nicht, ein Reel zu posten und darauf zu vertrauen, dass es von möglichst vielen Usern angesehen wird.
von Jürgen Pagel 04 Apr., 2024
Leider - und das ist eine offene Kritik an die Adresse vieler (natürlich nicht aller) Fotohändler - wird eine Kamera allzu oft mit einem sogenannten Kit-Objektiv verkauft. Dabei handelt es sich ausnahmslos um preiswerte Objektive im Zoombereich, mit denen der Käufer sofort mit dem Fotografieren beginnen kann. An sich eine gute Idee. Allerdings stellen diese Kit-Objektive den Kunden nur in Ausnahmefällen zufrieden. Sie sind nicht besonders lichtstark, d.h. die Offenblende beginnt bei f/3.5 und endet bei f/6.3 oder f/6.5. Das mag für den Anfang ausreichend erscheinen, ist es aber nicht.
von Jürgen Pagel 01 Apr., 2024
Wenn es irgendetwas gibt, dass mit vielen Fallstricken versehen, zum Stolpern eines nahezu jeden Anwenders führen kann, dann sind es das Urheberrecht (UrhG) und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Fotografen bewegen sich erfahrungsgemäß regelmäßig in beiden Bereichen. Der Street-Fotograf muss darauf achten, nicht gegenständliche Kunst und Gebäude im Hintergrund zu haben, die eine Urheberrechtsverletzung wie auch einen Verstoß gegen die DSGVO darstellen. Der Produktfotograf muss sicher sein, dass er die Logos und Etiketten von Requisiten entweder sorgfältig verbirgt oder die Rechte der Darstellung daran besitzt. Der Portraitfotograf benötigt einen Vertrag, in dem die Rechte des Models, aber auch seine eigenen Rechte definiert und geregelt sind. Das gilt für Hobby- wie für Berufsfotografen gleichermaßen.
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