Wann ist man ein richtiger Fotograf?
Ab welchem Zeitpunkt ist man ein richtiger Fotograf?

Dass es dir Spaß macht zu fotografieren deine Fotos gut sind und du als Fotograf keine Ausbildung mehr brauchst, heißt nicht automatisch, dass es dir auch Spass machen wird, als Fotograf zu arbeiten. Und glaub' mir, Talent wird vollkommen überbewertet, wenn es um Erfolg in deinem Beruf geht.
Welche Erwartungen werden an einen professionellen Fotografen gestellt?
- Fotografieren können
Das ist die wichtigste Voraussetzung. Die Technik beherrschend, ein Gespür für Bilder haben, Verständnis für den Bildaufbau entwickeln und und in der Lage sein, alle Einstellungen manuell vornehmen zu können. Das bedeutet nicht, dass du ausschließlich im manuellen Modus fotografierst. Es gibt eine Vielzahl an Situationen, in denen die Verwendung der halbautomatischen Modi (P, A, S) deutliche Vorteile bringt. - Licht formen
Als Fotograf musst du Licht beherrschen und formen können. Es gibt viele verschiedene Arten von Licht und jedes hat seine Eigenart. Entscheidend ist, dass du selbst das Licht gestaltest und richtig einsetzt. Das ist eine Frage der Zeit, der Erfahrung aber auch des technischen Verständnisses, wie Licht funktioniert. - Bildbearbeitung
"Out Of Cam" klingt zunächst einmal spannend. Es klingt minimalistisch. Und irgendwie natürlich und suggeriert gleichzeitig "Schau her, ich kann das ohne Nachbearbeitung, ich brauche so etwas nicht". Das ist m.E. der falsche Ansatz. Bildbearbeitung gab es schon in den frühesten Anfängen der Fotografie. Und jeder, der schon einmal Analog fotografiert hat weiß, wieviel Zeit die Entwicklung eines Films in Anspruch nimmt und wieviel Aufwand Labore betreiben, um das Bild so aussehen zu lassen, wie du es aufgenommen hast. OOC-Bilder sind keineswegs unbearbeitet. Nur findet die Bearbeitung in der Kamera selbst statt. Das gelingt je nach Voreinstellung mehr oder weniger gut. Du solltest die Technik der "Entwicklung", der Bearbeitung unbedingt beherrschen, um das Maximum an Wirkung herauszuholen und das Bild am Ende so aussehen zu lassen, dass es den Zweck erfüllt. - Projektmanagement
Ein gutes Foto reicht heutzutage schon lange nicht mehr. Du musst managen können. Models engagieren, Shootings planen, Aufträge generieren, Werbung machen, das Marketing steuern - eben alles, um Geld zu verdienen. Denn ohne ein Einkommen wird die Fotografie schnell wieder dein (kostspieliges) Hobby werden. - Networking betreiben
2020 gab es in Deutschland ca. 35.000 Fotografen(betriebe). 2008 waren es gerade einmal ca. 9.000. Mitgezählt werden alle, die professionell von der Fotografie leben (wollen). Unberücksichtigt bleibt dabei, ob es sich um Betriebe mit mehr als einem Angestellten oder um Einzelunternehmen handelt. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass die allermeisten Fotografen alleine unterwegs sind. Das ist nicht wirklich viel. Es gibt immerhin 350.000 Heilmirtelerbringer in Deutschland und die haben auch alle genug zu tun. Auch das Argument, dass es mehr kranke Menschen gibt als solche, die gute Fotos brauchen, zieht nicht. Jeder, der heute ein zielorientiertes Marketing betreibt, braucht gute Fotos - nicht solche von Hobbyfotografen mit dem Handy "Out Of Cam", sondern professionell bearbeitete, inklusive bewusster Lichtsetzung und professioneller Ausführung. Social Media wäre ohne Bilder nicht denkbar. Die Macht der Bilder wird uns täglich wiederholt vor Augen geführt. Umso wichtiger ist es, nicht nur zu Fotografieren, sondern seine Bilder zugänglich zu machen. Auf Hochzeitsmessen, auf Events, in Unternehmen - eben überall dort, wo solche Bilder gefragt sind. Dazu ist das Netzwerken die richtige Maßnahme. Werde bekannt, wie der sprichwörtliche bunte Hund. Wie soll dich jemand finden, wenn du dich nicht sehen lässt? Wie soll dich jemand buchen, wenn er nicht weiß, was du tust? Und ganz wichtig: du musst nicht alles können. Aber du solltest die richtigen Leute kennen, die es können. - Entertainment
Muss man als Fotograf ein Entertainer sein? Ehrlich gesagt, bin ich mir unschlüssig. "Eigentlich" nein und dann irgendwie wieder doch. Einseits sollen sich deine Models vor der Kamera wohlfühlen, damit du dein Zeil von guten Fotos erreichst. Andererseits muss man als Fotograf sicher keine Show abziehen. Einerseits treffen sich auf einem Shooting eine Menge Leute, die sich u.U. gar nicht kennen und die wollen irgendwie zusammengebracht und unterhalten werden. Andererseits kann dadurch auch schnell der Eindruck einer Showveranstaltung entstehen. Und das wirkt dann ebenso schnell unprofessionell. Entscheiden musst du selbst. Bedrückendes Schweigen ist mindestens genauso schlecht, wie permanentes Gelächter und Gegacker. - Schminken
Das musst du nicht unbedingt selbst können, aber du solltest wissen, wie es funktioniert. Du musst ein Auge dafür haben, ob die Schminke richtig sitzt, es muss dir auffallen, wenn der Lidschatten weit über den Augenrand gezogen wurde. Das kann man zwar in aller Regel retuschieren, ist aber schon wieder in der Nachbearbeitung ein zusätzlicher Arbeitsschritt mehr. Selbst bei Black & White kann Schminke je nach verwendetem Filter tolle Effekte setzen. Arbeitest du also regelmäßig mit Models, wäre es kein Fehler, eine Visagistin oder einen Visagisten im Netzwerk zu haben. - Posing
Wer schon einmal bei einem Set dabei war, wird es bestätigen. So wie bei GNTM läuft das seltenst. Vor allem dann nicht, wenn du mit Models arbeitest, die noch nie vor einer Kamera gestanden sind. Rosing will gelernt sein. Und da man das nicht in einer Stunde lernen kann, musst du wissen, was du tust. Du gibst die Anweisungen die erforderlich sind, damit sich ein Model sicher bewegt. Selbst in der Produktfotografie spricht man vom Posing. Ein auf dem Kopf stehender Mercedes-Stern auf einer schicken Aluminiumfelge kann das Bild durchaus negativ beeinflussen. Also muss das Auto ein paar Zentimeter nach vorne oder hinten. Dabei verändert sich die Lichtsituation und du musst nachjustieren. - Rechnungen und Rechtliches
Wenn man dann endlich alle Hard- und Soft-Skills des Fotografenalltags beherrscht stellt man plötzlich fest, dass man pleite ist. Einer der wichtigsten Faktoren nämlich ist Rechnungswesen. Im Fotografengewerbe wird vieles über den Preis entschieden und Preisdumping betrieben. Jeder will billiger sein als der Rest, obwohl das bei 35.000 Fotografen überhaupt nicht nötig ist. Dennoch bieten Kolleginnen und Kollegen Leistungen für ein Butterbrot an, nur um den Auftrag zu bekommen und daraus Folgeaufträge zu generieren. Wer also nicht "sauber" kalkuliert, seine Stundensätze nach Gutsherrenart festsetzt und seine Kosten nicht kennt, wird schnell einen mächtigen Stupser auf die Nase bekommen. Auch das Rechtliche muss im wahrsten Sinne des Wortes im Fokus bleiben. Nicht immer darf man alles, jeden und überall fotografieren. Models benötigen in aller Regel Verträge. Kostenvoranschläge sind verbindlich und Unternehmen, die einen Fotografen für mehrere tausend Euro engagieren, wollen vertragliche Sicherheit. - Fort- und Weiterbildung
Technik ändert sich. Neue Software kommt auf den Markt. Firmware-Updates bringen Neuerungen mit sich, die gelernt werden wollen. Hier gilt, wer aufgehört hat besser zu werden, hat aufgehört gut zu sein.
Keine Angst. Alles gut. Es lohnt sich dennoch. Wenn du Spaß an der Fotografie hast, wenigstens 8 von 10 Punkten bereits machst und von den verbleibenden wenigstens schon einmal etwas gehört hast, bist du auf dem richtigen Weg.
Ansonsten gehe an dieser Stelle zurück auf Anfang bevor du tausende Euros für Equipment ausgibst, das du nicht brauchst und bleibe Hobbyfotograf. Auch die machen super tolle Bilder!
Um also die Frage, wann man nun ein richtiger Fotograf ist, abschließend zu beantworten: immer, jetzt, ab heute. Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo du mehr willst, als nur herum zu knipsen. Dann wenn du dich ernsthaft mit allem auseinander gesetzt hast, was du zum Einstieg in einen professionellen Beruf brauchst und Schritt für Schritt die Fotografie zu deiner Profession wird. Ausbildung? Kannst du machen. Wahrscheinlich ist das einfacher, als autodidaktisch vorzugehen. Denn als Autodidakt musst du alles selber machen. Du musst dir dein Wissen mit viel Disziplin und Fleiß selber aneignen. Was keineswegs schlechter sein muss. Aber es ist anstrengend. Und das muss man wirklich wollen.
©Jürgen Pagel LICHTWERK.DESIGN
Neunzehn58 Photographie







