Checkbox Bildkontrolle - Von der Bedeutung der Fotografie

Jürgen Pagel

Checkbox Bildkontrolle
Von der Bedeutung der Fotografie

Zu Zeiten der analogen Fotografie (SLR) war es üblich, die Kontrolle über das Bild nicht der Kamera zu überlassen, sondern sich vor Betätigung des Auslösers darüber im Klaren zu sein, ob sich das Bild „lohnt“ oder nicht.

Warum war das so und warum sollte das heute auch so sein?
Filme waren teuer. Nicht so teuer wie heute, aber für die damaligen Verhältnisse zumindest kein Wegwerfartikel. Dazu kamen noch die Kosten und der Zeitbedarf für eine Entwicklung – egal, ob man die Entwicklung im heimischen Keller durchführte oder in einem Fotofachgeschäft bzw. in einer Drogerie ausführen ließ.
Zumal man meistens nur maximal 36 Bilder auf der Rolle zur Verfügung hatte (Mittelformat entsprechend weniger). Das, was damals selbstverständlich war – Schritte wie Bildaufbau, Belichtung und Fokussierung, sind zwar im Zeitalter der Digitalisierung nicht bedeutungslos, aber deutlich einfacher zu korrigieren, wenn einmal mehr die Belichtungszeit zu kurz oder etwas zu lang ist oder der unvorteilhafte Bildaufbau einen Beschnitt (Crop) nötig macht. 
Die heutigen Korrekturmöglichkeiten mittels Lightroom, Photoshop und Topaz AI verführen dazu, einen schnellen Schnappschuss, über den man sich bei der Entstehung keine Gedanken gemacht hat, entweder zu verwerfen oder in die Trickkiste zu greifen, um das Bild doch noch nutzbar zu machen. Dem Beschnitt sind auf Grund Kameras mit 40 MP und mehr kaum noch Grenzen gesetzt. Starkes Rauschen lässt sich ohne erhebliche Verluste an Schärfe nahezu grenzenlos korrigieren. Das ging zu Zeiten der analogen Fotografie gar nicht oder war mit umfassender Kenntnis der Entwicklungstechnik verbunden.

Es liegt mir fern, damit zum Ausdruck zu bringen, dass früher alles besser war – im Gegenteil. Aber die Digitalisierung „verführt“ dazu, nachlässiger zu werden. Nachlässiger im Bildaufbau – dem Crop sei Dank. Nachlässiger in der Exaktheit der Objektivwahl, nachlässiger beim Setzen des Fokus, weniger Wert auf das Bokeh legend, weil sich das alles im Rahmen der digitalen Bildbearbeitung einfügen, korrigieren oder eliminieren lässt. Personen im Hintergrund werden entfernt, Berge ersetzt, der Himmel ausgetauscht.

Um der Ursprünglichkeit der fotografischen Dokumentation der Zeitgeschichte wieder „auf die Sprünge“ zu helfen, ist es meines Erachtens wichtig, sich wieder mehr mit der Grundsätzlichkeit der Fotografie zu befassen. Statt auf immer neue Versprechen der Kameraindustrie hereinzufallen und sich für viel Geld etwas neuere – nicht immer bessere – Technik zuzulegen, sollte die Grundlagen mehr in das Blickfeld des Fotografen rücken.
Die digitale Technik hat immer mehr Menschen zum Fotografieren bewegt, bringt aber leider auch immer mehr Fotos hervor, die im heimischen Schrank – sprich auf der eigenen Festplatte – besser aufgehoben wären, als sie einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Nicht alles ist schlecht, aber vieles von dem, was unsere Augen täglich zu sehen bekommen, ist nicht mehr als ein Schnappschuss ohne Bildidee, ohne Aussage, zumeist langweilig und das auch noch schlecht gemacht. Hierbei wohlwollende Worte zu finden, ist nicht immer einfach und bedarf viel Zurückhaltung – vor allem unter dem Aspekt, ob die eigenen Bilder wirklich besser sind. Dabei kann ich eine gewisse (unbedingt notwendige) Selbstkritik keineswegs verbergen.

Damit das künftig besser wird, empfiehlt es sich vor dem Auslösen, sogar vor der Entscheidung, welches Motiv nun am besten geeignet erscheint, die einzelnen Punkte der „Checkbox Fotografie“ vor seinem inneren Auge abzuhaken.

Am Ende des Textes findest du einen Link zur Checkbox zum Ausdruck als PNG-Datei und einen Link zum Download des vollständigen Beitrages als PDF-Datei.

1. KISS – Keep It Super Simple
Einfacher, konsequenter Bildaufbau. Weniger ist mehr. Maximal 3 Motivinhalte gleichzeitig.

2. Balance
Farbe, Kontraste, Dynamik im Bild müssen in der Balance sein. Das menschliche Auge zieht es zum Hellen. Liegt der hellste Bildanteil außerhalb des Fokus, wird das Auge weg vom Motiv geleitet.
Grelle Farben lenken ebenso vom eigentlichen Bildinhalt und dessen Bedeutung ab, wie starke Kontraste bei monochromen Aufnahmen.

3. Tiefe
Tiefe verleiht dem Bild eine weitere Dimension, die bei einer flachen Darstellung auf dem Bildschirm oder dem Ausdruck fehlt. Tiefe kann v.a. durch das Bokeh oder führende Linien erzielt werden.

4. Visuelles Interesse
Es gibt (eigentlich) nichts Schlimmeres, als langweilige Bilder. Das erinnert zumindest mich stets an die überaus langweiligen Dia-Abende vom letzten Nordsee-Urlaub von Tante Erna. Nicht, dass Tante Erna eine unangenehme und langweilige Person war, sondern vielmehr waren diese Abende gefüllt mit überaus langweiligen Bildern. Stets dieselben Motive, alles unscharf. Man wusste nicht, wohin man zuerst schauen sollte. Wenig war in Balance und kein Bild erweckte ein visuelles Interesse. Heute finden wir so etwas zunehmend in den sozialen Medien. Ohne Balance, ohne Kontraste oder das Gegenteil. Überkontrastiert, teilweise schon kitschig, ohne Inhalt und ohne Bezug zu Raum und Zeit. Die Folge davon ist eine kurze Betrachtungsdauer, die üblicherweise deutlich unter einer Sekunde liegt.

5. Story Telling
Nicht jedes Bild kann und muss eine Geschichte erzählen. Sich aber Gedanken über das zu machen, was ein Betrachter beim Anschauen des Bildes empfinden könnte, ist nicht verkehrt.
Provokation? Es finden sich zunehmend Fotos von halb- oder ganz nackten Frauen, teilweise haarscharf am Rande des Obszönen. Gewollt? Dann kann es eine gelungene Provokation sein, die zum Nachdenken anregt. Nicht gewollt? Dann ist es nur gedankenlos und degradiert die abgebildete Person zum reinen Sexobjekt. Die Anzahl der Likes unter solchen Bildern ist in meinen Augen ein Zeichen für den Fokus unserer Gesellschaft. Ist das genauso gewollt, dann kann man es als gelungen bezeichnen. Dient das nur dem Erregen von Aufmerksamkeit, nutzt es am Ende niemandem.
Ein sehr gelungenes Beispiel für Story Telling ist das Bild von Phan Thị Kim Phúc, dem Napalm-Mädchen, dass wohl jeder schon einmal gesehen hat. Ein Bild, dass seinerzeit um die Welt ging und das dem Fotografen viel Ruhm eingebracht hat – wenn es auch im Original etwas anderes aussagte, als das nach dem Beschnitt der Fall war. Dennoch gelungen mit tiefgreifendem Inhalt. Das ist Story Telling.

6. Proportionen und Skalierung
Proportionen lassen sich mit Perspektiven verändern, sollten jedoch mit Bedacht eingesetzt werden. Nicht grundsätzlich ist das Fotografieren auf Augenhöhe falsch, sondern in der dokumentarischen Fotografie sogar erforderlich – der Betrachter soll schließlich einen neutralen, unverfälschten Eindruck bekommen und das gelingt auf Augenhöhe am besten. Hier gibt es m.E. kein richtig oder falsch. Es muss einen Sinn ergeben, warum die Froschperspektive besser als eine Vogelperspektive ist. Im Zweifel werden aus allen Perspektiven Fotos gemacht und dann im Nachhinein ausgewählt oder man macht eine Bildserie daraus. Auch solche Bildserien aus unterschiedlich Perspektiven verleihen dem Gesamteindruck die notwendige Tiefe.
Skalierung meint vor allem den Beschnitt, den Bildausschnitt. Unnötiges, nicht zum Inhalt des Bildes gehöriges, kann entfernt werden. Je mehr man bereits bei der Fotografie selbst darauf achtet, um so weniger Arbeit hat man in der anschließenden Bildbearbeitung. Hierbei würde ich mir viel mehr Mut wünschen, die Bilder auf das Wesentliche zu beschränken.

Fazit
All das ist kein Muss, sondern vielmehr ein Kann (man so machen). Es macht ein Bild mit schlechter Technik aufgenommen meistens spannender, besser und unterstreicht (siehe Napalm-Mädchen – ein Bild, das auch in der heutigen Zeit mit der damaligen Technik aufgenommen) immer wieder und noch, die Bedeutung des Inhaltes und nicht der Technik selbst.

©2024 Jürgen Pagel
Checkbox Fotografie Blogpost "Checkbox Fotografie" zum Download als PDF-Datei

Neunzehn58 Photographie

Apokalyptische Szene
von Jürgen Pagel 24. April 2025
Wenn Fotograf:innen extrem niedrige Preise verlangen (oft weit unter dem marktüblichen Niveau), kann das tatsächlich dazu führen, dass Kund:innen ein verzerrtes Bild vom Wert professioneller Fotografie bekommen. Das Resultat: Der Preis wird als wichtigstes Kriterium wahrgenommen – nicht die Qualität, die Erfahrung oder der Service. Das ist gefährlich für alle, die nachhaltig und professionell arbeiten möchten.
Sammlung alter Kameras und Objektive
von Jürgen Pagel 23. April 2025
Viele schwören darauf, manche lehnen sie kompromisslos ab. Sehr wahrscheinlich haben beide Gruppen unrecht. Nur weil das Objektiv alt ist, ist es nicht zwangsläufig gut. Wenn eines seinen eigenen Charakter an einer Fujifilm X-T5 entwickelt, muss das an einer Nikon Z8 nicht unbedingt auch funktionieren. Richtig ist, dass sich am technischen Vorgang der Fotografie wenig geändert hat. Richtig ist aber auch, dass die Objektive aus den 50er bis in die frühen 90er Jahre in erster Linie für analogen Film entwickelt und gefertigt wurden. Und oftmals sind sie als Massenprodukt millionenfach hergestellt worden, ohne dass man Wert auf eine herausragende Qualität gelegt hat, denn auch nach 1950 saß das Geld nicht locker und wer sich schon für ein paar hundert Mark eine Kamera leisten konnte, dem kam die Industrie mit einigermaßen günstigen Objektiven entgegen.
Blitzlicht alt
von Jürgen Pagel 21. April 2025
Einer meiner großen Vorbilder in Sachen Blitzlichtfotografie ist - wie ich schon in einem anderen Blogbeitrag erwähnte - Aki Moosmann. Am 21.04.2025 erschien ein neues Video auf seinem YouTube-Channel, dass sich wieder einmal mehr mit dem Einsatz eines Blitzes bei Outdoor-Shootings und in einer U-Bahnhaltestelle beschäftigt. gerne teile ich dieses Video mit Euch!
Portfolio Personal Branding Mann im speziellen Licht
von Jürgen Pagel 20. April 2025
Erfahre, wie Personal Branding Fotografie deine Marke stärkt. Tipps, Bildideen & Strategien für authentische Businessportraits, die wirklich wirken.
Gemüse mit Preisbeschriftung auf einem Markt
von Jürgen Pagel 20. April 2025
Lerne, wie du als Fotograf realistische und faire Preise kalkulierst. Inklusive Beispielrechnungen, Tipps zur Preisgestaltung & Stundensatz-Berechnung.
Sezifikationsdaten der Fujifilm X-H2
von Jürgen Pagel 18. April 2025
In einer Welt, in der Kameras in technischer Hinsicht immer ähnlicher werden, gelingt es Fujifilm, aus der Masse hervorzustechen – nicht nur durch beeindruckende Technik, sondern auch durch ein ganz besonderes fotografisches Erlebnis. Als Besitzer der Fujifilm X100VI und X-H2 kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Diese Kameras begeistern nicht nur durch ihre 40 Megapixel Auflösung, sondern durch eine nahezu magische Verbindung aus Bildqualität, Design und Emotion.
Aufmerksamer Hund in Pose als Portrait
von Jürgen Pagel 18. April 2025
Das 50mm-Objektiv gilt nicht ohne Grund als einer der beliebtesten Brennweitenklassiker in der Fotografie. Leicht, kompakt, lichtstark und vielseitig einsetzbar – es begleitet Fotograf:innen seit Jahrzehnten durch alle Genres. Doch wie verhält sich das beliebte „Normalobjektiv“ an unterschiedlichen Sensorgrößen, insbesondere im Vergleich von APS-C zu Vollformat? Und welche Motive lassen sich damit besonders wirkungsvoll in Szene setzen?
KI generiertes Model
von Jürgen Pagel 13. April 2025
H&M nutzt neuerdings künstliche Intelligenz, um digitale Doppelgänger von 30 Models zu erstellen, die in Marketingkampagnen und sozialen Medien eingesetzt werden sollen Diese Entwicklung wirft Fragen zur Zukunft von Fotografen, Stylisten und Models auf, da die digitalen Avatare potenziell die Nachfrage nach realen Modellen reduzieren könnten Die Models selbst können jedoch über ihre digitalen Doppelgänger bestimmen, sie für virtuelle Shootings zu nutzen und an andere Marken zu verkaufen Trotzdem machen Agenturen in Berlin große Sorgen, da sie beobachten, dass Kunden vermehrt Anfragen stellen, um sich weitreichende Bild- und Persönlichkeitsrechte vertraglich zu sichern und diese dann für KI-Anwendungen zu verwenden. Ohne klare gesetzliche Grundlagen ist es schwierig, fundierte und nachhaltige Entscheidungen zu treffen oder Schutzmechanismen zu etablieren.
Leica Kamera M9
von Jürgen Pagel 13. April 2025
Der Begriff „Leica-Look“ ist ein regelrechter Mythos unter Fotografen – geliebt, diskutiert, manchmal auch belächelt. Ja, viele sagen: Den Leica-Look gibt es. Aber er ist kein rein technisches Phänomen, sondern ein Zusammenspiel aus Optik, Sensorcharakteristik, Farbwiedergabe – und einer gewissen Portion Subjektivität und Markenmystik.
Fujifilm X100VI
von Jürgen Pagel 6. April 2025
Die Fujifilm X100VI (mittlerweile ist sie wieder problemlos verfügbar) ist eine Edel-Kompaktkamera mit einem 40 MP-Sensor und Objekterkennung. Sie nutzt den gleichen Sensor wie die X-H2 und die X-T5. Die Bildqualität ist herausragend, die fast schon legendären Filmsimulationen von Fujifilm stets eine gute Wahl für JPEG-Enthusiasten. Die Kamera ist für Einsteiger in das Fujifilm-System ebenso geeignet, wie für ambitionierte Hobbyfotografen oder für Profis als Backup-Kamera.
Weitere Beiträge