Das Problem der gesamten Kamerabranche

Jürgen Pagel

Das Problem der gesamten Kamerabranche (und der Fotografen)

Heute möchte ich auf ein Video aufmerksam machen, das m.E. den Kern der Sache trifft. Autor ist Hartwig Moosmann aus dem schwäbischen Wurmlingen (Landkreis Tuttlingen). Er ist in Sachen Bildgestaltung und vor allem in Sachen Blitzfotografie mein größtes Vorbild und arbeitet als professioneller Fotograf. Sein YouTube-Kanal hat mittlerweile ca. 23.300 Abonnenten.

Warum hat die Branche ein Problem? Sind es die Kamerahersteller oder gar die Fotografen selbst? Ist es womöglich die künstliche Intelligenz (KI), welche die gesamte Branche beeinflusst?


Wir Fotografen wissen es schon längst: "Nicht die Kamera macht das Bild, sondern der Fotograf". Dieser mittlerweile "phrasenhafte" Satz, für den 5 Euro in's sogenannte Phrasenschwein geworfen werden müssen, ist einerseits richtig, andererseits jedoch erläuterungsbedürftig.
Fotografieren hat enorm viel mit Sehen zu tun. Sehen lernen und sehen können ist der Schlüssel für spannende, emotionale, dokumentarische, erlebnisbehaftete und technisch gute Fotografien (gleiches gilt übrigens auch für die Videografie). Und zusätzlich zu der gehörigen Portion des Sehens kommt noch eine ordentliche Prise Licht dazu. Dieser Mix ist es, der neben der Bildbearbeitung, die eigentliche Fotografie ausmacht. Das war vor 50, 40, 30 Jahren so und wird auch in Zukunft nicht anders sein. Das kann und will die KI auch nicht ersetzen, sondern sie unterstützt den Fotografen bei seiner Arbeit. Sie macht vieles leichter. Sie erleichtert die Bildbearbeitung, den Workflow, entfernt Gegenstände aus dem Bild, die nicht hineingehören, sich aber in Abhängigkeit der Situation nicht vermeiden ließen (getreu dem Motto "lieber ein schlechtes Bild, als gar keins"). Sie tauscht ggf. aus (was keineswegs verwerflich ist, sondern vom Fotografen als solches gekennzeichnet gehört) oder ersetzt und kann eine Fotografie maßgeblich aufwerten. Aber sie ersetzt definitiv nicht das Sehen des Fotografen. Sie - die KI - als Feind der Fotografie zu sehen und mit ihrem Aufkommen den Untergang der Fotografie heraufzubeschwören, ist in meinen Augen vollkommen der falsche Ansatz.


Fotografen und Fotografinnen müssen lernen, sich zu "bewegen", sich anzupassen, sich aus dem bequem gewordenen "Sofa" zu erheben und Dinge zu tun, die bisher auch schon notwendig waren (denn Stillstand ist Rückschritt), wenn man in der Branche bestehen wollte. Die KI beschleunigt diesen Prozess. Sie ist eher förderlich als behindernd.


Wer heute immer noch behauptet, Out of Cam - also die JPEG-Fotografie - sei die einzig richtige Art der Fotografie, der irrt nicht nur gewaltig, sondern hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Das bedeutet keineswegs, dass JPEG-Fotografie schlecht ist. Auch sie kann erheblich zu Erleichterung und Beschleunigung eines Workflows beitragen und Reporter bedienen sich ihrer ausschließlich, um Bilder in kleinen Dateigrößen und vor allem schnell an Verlage möglichst zeitnah senden zu können. Aber sie ist nicht DIE einzige Art der Fotografie. Überhaupt sollten wir uns davon freimachen, etwas als das alleinseligmachend zu betrachten. Es gibt unzählig viele Arten, seine Emotionen und seine technischen Ansprüche durch Bildern Ausdruck zu verleihen, dass die Fotografie in diesem Konglomerat wiederum nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist (Philosophie Ende).


Kamerahersteller - egal welcher Marke - sind Unternehmen, die dem Markt verpflichtet sind und nicht nur dem dem. Es ist oberste Unternehmerpflicht, Gewinnen zu erzielen und zwar möglichst jedes Jahr mehr (Gewinne). Dazu greifen sie zu Mitteln des Marketings, wozu das Anpreisen vermeintlich technischer Neuerungen gehört, die ihrer Meinung nach geeignet sind, die Fotografie auf das nächste Level zu heben. So weit so gut.

Dagegen ist nichts einzuwenden und es ist in meinen Augen vollkommen falsch. die Kamerahersteller für eine Entwicklung verantwortlich zu machen, die in den Augen vieler Fotografen die Fotografie teuer und unerschwinglich macht. Fotografie war noch nie "billig" und wer glaubt, darin ein günstiges Hobby für sich entdeckt zu haben, wird schnell eines besseren belehrt. Ich habe in den letzten fünf Jahren für die Fotografie deutlich mehr ausgegeben, als andere für eine Mitgliedschaft in einem Golfclub mit täglichem Spiel auf dem Platz und regelmäßigen Trainerstunden - inkl. einer Top-Ausrüstung für ein mittelmäßiges Spiel (ich weiß, wovon ich rede).


Braucht man das alles? Nein! Niemand braucht Vollformat - Bokeh hin oder her. Ein Bokeh wird mit Vollformat definitiv nicht besser, nur anders. Aber das lässt sich mit einer anderen Optik - beispielsweise angepasst an APS-C - problemlos kompensieren. Auch mit MFT-Sensoren lassen sich fantastische Portraits machen. Sie als das Nonplusultra der Landschafts- und Wildlife-Fotografie zu preisen, ist schlicht falsch. Das Hersteller lieber ihre Vollformat-Kameras verkaufen, ist selbstredend - die Marche ist größer, vorhanden sind sie allemal.
Eine Sony A9III ist mit ihrem Global Shutter ohne Zweifel ein Meilenstein (obwohl die Idee mit dem Global Shutter keineswegs neu ist). Sie macht die Fotografie jedoch nicht besser, sondern anders. Blitzen mit elektronischen Verschluss funktionierte zuvor nicht, jetzt schon. Aber wer braucht einen Blitz bei 1/12.000 Sekunde? Richtig. Einer von tausend Fotografen - wenn überhaupt.

Verändert das Deine persönliche Art der Fotografie? Nein. Deine Bilder werden mit einer Sony A9III für 7.000 Euro nicht anders aussehen als mit einer Nikon D850 für mittlerweile rd. 2.500 Euro und auch nicht besser, wie mit einer Fujifilm X-S10 für rd. 800 Euro. Ok, bei der Nikon hast Du mit ihren 46 MP etwas mehr Raum für einen nachträglichen Beschnitt des Bildes, jedoch haben die Sensoren der X-S10 mit 26,4 MP und der A9III mit 24,2 MP nahezu das gleiche Format. Die A9III ist zwar eine Vollformat-Kamera und die Fujifilm X-S10 eine APS-C-Kamera, aber das hatten wir schon. Und wer es gerne eine Nummer größer will, für den hält Fujifilm eine X-H2 bereit, die ebenfalls über im APS-C-Bereich hervorragende 40 MP verfügt. Der absolute Top-Profi, Sportfotograf oder Vogelspezialist (wie bereits geschrieben einer von tausend) wird aus einer A9III alles herausholen können, was diese Kamera zu leisten in der Lage ist - Du nicht. Eine Vogelaugenerkennung ist toll, eine Zugerkennung ebenso, aber wenn Du weder regelmäßig Vögel noch Züge fotografierst, nutzen Dir diese Features (die Du übrigens für teures Geld mitfinanzieren musst) nichts.

Das Einzige, was DEINE Bilder wirklich besser macht, sind drei Dinge, die unabhängig einer jeden Kamera sind:

  1. SEHEN (lernen oder können)
  2. LICHT (verstehen)
  3. OBJEKTIVE (sie sind der Schlüssel zum Bokeh bzw. zum eigentlichen Zweck der Fotografie)
  4. BILDBEARBEITUNG (sie verändert die Fotografie grundsätzlich und/ oder gibt ihr den letzten Schliff)

Alles andere ist ersetzbar, austauschbar und spielt für das Ergebnis keine oder nur eine untergeordnete Rolle.


Eine Nikon Z8 oder eine Z9 nutzen Dir für die Hochzeitsfotografie nichts, wenn Du keine Auge für die wichtigen Ereignisse einer Hochzeit hast. Es macht die Ergebnisse bei Deiner ersten Hochzeit, die Du fotografierst nicht besser und der Fotograf, der seine 115. Hochzeit fotografiert, bekommt das auch mit einer Kompaktkamera hin, weil er weiß, worauf es ankommt, was wichtig ist uund wie er das, was er SIEHT, richtig und eindrucksvoll in Szene setzt.

Es ist einfach ein großer Irrglaube zu meinen, dass eine teure und große Kamera die besseren Bilder macht. Der gleiche Irrglaube wie anzunehmen, dass sogenanntes "rückengerechtes Bücken" vor einem Bandscheibenvorfall schützt - Studien beweisen das Gegenteil!


Auch ich bin immer wieder dem G.A.S. verfallen und neues Equipment (einschließlich einer neuen Kamera oder eines neuen Objektivs) macht Spaß, großen Spaß sogar. Aber am Ende macht es auch meine Bilder nicht besser ( auch nicht schlechter). Ich habe mit meiner Nikon Z6II, meiner Fujifilm X-H2 (und der X-T4, von der ich mich einfach nicht trennen mag) inkl. gesamten nativen Objektivparks meine Kameras gefunden. Vor allem, weil sie zu MIR passen. Sowohl in Hinsicht des Workflows wie auch in Bezug auf das Handling. Und das alles ist viel wichtiger, als eine ausgefuchste Technik.

Schaut Euch das Video an. Damit ist eigentlich alles gesagt und eindrucksvoll demonstriert!

©2024 Jürgen Pagel

Neunzehn58 Photographie

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Du kennst das sicher. Jeder Fotograf und jede Fotografin kennt das - ein Tag der Lustlosigkeit. Am Wochenende Zahnschmerzen gehabt, das Knie schmerzt und der Rücken zwickt. Kein Bock zum Fotografieren. Eigentlich nicht weiter schlimm. Aber sich dem Hinzugeben ist mir zuwider. Also den Hund und die Kamera geschnappt und das 100mm f/1.5 von TTArtisan aufgeschraubt (M42 auf Adapter für den X-Mount) - also auf die Kamera, nicht auf den Hund. Das Wetter nicht so toll. Kalt, feucht und diesig, erst gegen Mittag kam die Sonne hervor.
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Einfach nur da sein. Da sein am Ort, auf der Straße, im Wald, auf dem Feld – egal. Wo auch immer. Das ist das wichtigste Rüstzeug für die Fotografie. Da sein. Wer immer nur in den eigenen vier Wänden sitzt, steht oder liegt, hat es komfortabel. Du machst heute das Gleiche wie gestern. Das ist sogar sehr komfortabel. Aber du bist nicht da. Nicht da, wo etwas ist, was sich nicht wiederholen wird, das einmalig ist. Nur jetzt und heute. Morgen ist es vollkommen anders. Es zählt einzig der Moment. Das Hier und Jetzt. Genau in diesem Moment.
Objektivreihe
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Der Sweet Spot bezeichnet den optimalen Einstellungswert der Blende beim Fotografieren. Dieser Wert wird auch als "förderliche Blende" oder "mittlere Blende" bezeichnet. Er ermöglicht eine optimale Abbildungsleistung sowie einen optimalen Kontrast.
Augen mit Blick nach schräg oben
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Fotografie ist nicht nur das Malen mit Licht, sondern vor allem das Festhalten eines Augenblicks. Eines Moments, der genau jetzt und hier so ist, wie er ist. Eine Sekunde später haben sich die Situation, das Wolkenbild, die Lichtwirkung auf das Motiv, vielleicht sogar das Motiv selbst sich verändert – meist nicht wiederholbar verändert.
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Ist es langweilig, immer dasselbe zu fotografieren? Auch hier, wie in vielen anderen Lebenssituationen, antwortet Radio Eriwan*): „Es kommt darauf hin. Im Prinzip ja, aber …“.
von Jürgen Pagel 18. Oktober 2024
Ein gutes Bild fängt Aufmerksamkeit und sticht aus der Masse hervor. Ein gutes Bild vermittelt einen Inhalt, der die Aufmerksamkeit hält. Ein gutes Bild löst Emotionen aus, hat eine ästhetische Qualität und entspricht weitestgehend grafischen Gestaltungsregeln. Ein gutes Foto muss nicht jedem gefallen. Es hat für diejenige Person, die es angefertigt hat, i.d.R. einen besonderen Wert. Allein dadurch wird es bereits zu einem „guten“ Foto. Ganz offensichtlich ist dies bei Urlaubsfotografien und Familienfotos so. Außenstehende sind bei der Betrachtung von Familienfotos oftmals genervt, während die „Fotografen“ selbst regelmäßig in Begeisterung fallen. Das Interesse ist – wie bei allen anderen Bildern auch – ausgesprochen subjektiv. Was dem einen gefällt, muss einem anderen überhaupt nicht gefallen. Das Interesse an den Motiven ist folglich subjektiv.
von Jürgen Pagel 15. Oktober 2024
Bis auf die eine oder andere Ausnahme abgesehen, gibt es über alle Generationen hinweg sehr gute Fotografen, die ihr eigenes Alter ad absurdum führen. Das macht die Fotografie zu einem Beruf, der kein Ende kennt. Solange du noch deinen Fotoapparat halten kannst, ist alles im grünen Bereich.
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